Concrete In der Regel erscheinen Ausstellungen – sowohl solche der Kunst als auch solche der Wissenschaft - als „Fest-stellungen“, als feste unveränderliche Gefüge, die Tatsachen präsentieren: Kunstwerke, Schaustücke sowie Texte die diese in analytischer Weise untereinander in Beziehung setzen. Den Besuchern wird damit die Realität als eindeutig und objektiv präsentiert, als unveränderliches Monument. |
Dennoch verbirgt sich dahinter eigentlich ein veränderlicher
und höchst flüchtiger
Prozess. Nicht nur, dass die Vorbereitungszeit - in der die
Ausstellung im Kopf des
Künstlers/Kurators/Wissenschaftlers einem permanenten Wandel
unterliegt - für eine solche
Ausstellung in der Regel länger ist als deren Dauer, auch die
präsentierten Stücke und die in ihr
dargelegten Zusammenhänge sind längst nicht so eindeutig wie es
erscheinen mag.
Darüber hinaus macht sich jede besuchende Person ihr eigenes Bild von einer Ausstellung, beschreibt ihre eigenen Wege durch die Räume und setzt das Gesehene mit ihrem eigenen Zugang zu den Dingen, ihren eigenen Erfahrungen, mit ihrer eigenen Realität in Bezug. Auch wenn so in den Köpfen ganz unterschiedliche Ausstellungen entstehen, scheint die fixe räumliche Konfiguration in den „real“ vorliegenden Ausstellungsräumlichkeiten die Dinge unabhängig vom Menschen und unveränderlich darzustellen. Nika Valeo versucht in ihren Ausstellungen für gewöhnlich einen anderen Weg aufzuzeigen, einen bei dem die Ausstellung als veränderlicher Prozess erscheint, als Ort der Auseinandersetzung. Hier soll nicht wie in anderen Ausstellungen ausschließlich der „Horizont der Besucher“ erweitert und damit verändert werden, sondern hier verändern sich im Verlauf der Ausstellung auch die Schaustücke und deren Bezüglichkeiten, sowie der Horizont der Künstlerin selbst. Nika Valeo stellt dafür zwar – einer üblichen Ausstellung entsprechend – vorerst einen zu einem spezifischen Thema gestalteten Raum zur Verfügung, bittet darüber hinaus jedoch geladene KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen als auch die BesucherInnen die Räume der Ausstellung umzugestalten, etwas zu ergänzen, Bilder abzuhängen, Notizen anzubringen, zu übermalen, an Flipcharts zu zeichnen oder Zetteln an die Wand zu montieren. Die Ausstellung und der Diskurs bleibt auf diese Weise lebendig, friert nicht zur Tatsache ein. Nika Valeo reagiert wiederum auf diese unterschiedlichen Vorgänge, verändert die Ausstellung ihrerseits, hängt Bilder um, übermalt, fügt zusätzliche Arbeiten ein, verändert das Lichtkonzept, räumt den Ausstellungsraum leer oder überarbeitet von den WissenschaftlerInnen/KünstlerInnen/BesucherInnen an den Wänden angebrachte Notizen um ihrerseits wieder andere Perspektiven und neue Anreize zu schaffen. Auf diese Weise verschwimmen in Nika Valeos Ausstellungen nicht nur die Positionen Künstler, Forscher und Betrachter/Besucher sondern bleibt die Unbestimmtheit vor dem Ausstellungsbesuch auch danach aufrecht, da die Ausstellung am nächsten Tag ganz anders aussehen kann und der Diskurs fortgesetzt wird. Der Ausstellungsraum bleibt somit in Verwandlung, und ermuntert dazu, ihn mehrfach zu besuchen, sei es um seine Verwandlung zu beobachten oder ihn selbst weiter zu verändern, dem Diskurs zu folgen oder aber auch um Reaktionen auf eigene Aktionen darin zu suchen. Dementsprechend geht es auch in der vorliegenden Ausstellung nicht darum, die eigenen Vorstellungen und den eigenen kreativen Drang zu unterdrücken, sondern eben gerade diese auszuleben und auszudrücken. Hier soll kein Monument erhalten werden, sondern die Veränderlichkeit und Vielgestaltigkeit der Dinge sichtbar gemacht werden. Neben den BesucherInnen sind von Nika Valeo für die Ausstellung im ESC folgende WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen eingeladen gestaltend einzugreifen: Dienstag, 8. 11. Martin Brandlmayr (Musik) Donnerstag, 10. 11. Maurizio Nardo (Psychologie/Musik) Samstag, 12. 11. Martina Erlemann (Physik/Soziologie) Dienstag, 15. 11. Ekehardt Rainalter (Architektur) Freitag, 18. 11. Ulrike Königshofer (Bildende Kunst) Dienstag, 22. 11. Helga Peskoller (Historische Anthropologie) Donnerstag, 24. 11. Fränk Zimmer (Installation) Concrete. Eine Ausstellung zum menschlichen Erfahrungs- und Erkenntnisprozess „Die Welt beschreibt einen zuallererst vom Körper ausgehenden sinnlich erlebten und erfassbaren, später begrifflich erweiterten Zusammenhang eines allumfassenden Inneren.“ (Philosophisches Wörterbuch, Meiner 1998) In dieser Begriffsbestimmung deutet sich an, dass eine enge Verbindung zwischen dem Menschen und dem Begriff Welt besteht. Darin spiegelt sich nicht nur die Tatsache, dass letzterer ohne Zutun des Menschen nicht geprägt worden wäre, sondern auch jene, dass die Aussicht auf die Welt immer aus einer spezifischen Position innerhalb dieses Gefüges heraus geschieht. An der Basis des menschlichen Erfahrungs-/Erkenntnisprozesses ist dabei der Körper des Menschen zu finden, von dem letzten Endes jede Aussage über den als Welt erfahrbaren Zusammenhang gemacht wird. „Der Leib (ist) jener seltsame Gegenstand, der seine eigenen Teile als allgemeine Symbolik der Welt gebraucht und durch den wir somit einer Welt zu begegnen, sie zu verstehen und ihr Bedeutung zu geben vermögen.“ Merleau-Ponty (1966): Phänomenologie der Wahrnehmung, S277 „Ich nehme wahr mit meinem Leib, mit meinen Sinnen, wobei mein Leib und meine Sinne nichts anderes sind als eben dieses habituelle Wissen von der Welt, diese implizite oder sedimentierte Wissenschaft.“ Merleau-Ponty (1966): Phänomenologie der Wahrnehmung, S278 Die Sinnesorgane als Schnittstelle zwischen Innerem und Äusserem arbeiten dabei mit Analogien und Differenzen, benötigen also auch ein Konzept der Ähnlichkeit zwischen Äusserem und Innerem, um Aussagen über ein spezifisches Äusseres treffen zu können. Der Erfahrungs- und Erkenntnisprozess ist ein mimetischer Prozess der gegenseitigen Angleichung. Der Kletterer tastet die Felswand ab und kann sie so nicht nur im Geiste durchsteigen, sondern kann die dabei gemachen Erfahrungen auch an der Wand anwenden. Er hat die Felswand verinnerlicht, und hat dabei auch die Seite gewechselt, ist selbst teilweise zur Wand geworden, um die Reibungsfläche zwischen sich und ihr so gross wie möglich zu machen. Dabei wird aber auch die Wand dem Menschen ähnlich gemacht: sie hält ihn, lässt ihn nicht abgleiten, lässt ihn durchsteigen oder aber sie lässt ihn scheitern. Die Reibung an der Welt ist ein mimetischer Akt, ein Akt des wechselseitigen Angleichens zur Herstellung eines Gleichgewichts. Mimesis bedeutet hier aber nicht lediglich die kopierende Imitation eines Vorbildes. Mimesis heißt auch, etwas zur Darstellung bringen zu wollen, etwas auszudrücken, ist also „nachschaffen und verändern in Einem, und zielt auf eine Verbesserung und Verschönerung ab, eine gestaltende Nachahmung“. Wulf, C. (1997): Vom Menschen. , S. 1018. Mimesis bezeichnet die Bezugnahme auf einen anderen Menschen oder eben auch auf eine andere „Welt“, in der Absicht, ihm oder ihr ähnlich zu werden, indem man die Welt in der Vorstellung und physisch gestaltend an sich angleicht oder sich ihr angleicht um sie zu ergründen. Auf diese Weise bietet die Ausstellung concrete - sowohl durch die Ausstellungsobjekte, als auch durch das performative Konzept des gestaltenden Eingreifens durch BesucherInnen, KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen, und den dabei sichtbar gemachten Erfahrungsprozess - nicht nur eine Aussicht darauf, wie unterschiedlich Sachverhalte erfahren werden können, wie unterschiedlich sie aufgefasst, beurteilt und zusammengestellt werden können, und wie dabei individuelle und kulturelle Kategorien und Normen eingesetzt, variiert, adaptiert und verändert werden müssen, sondern verweist letzten Endes auch auf die - für den Erfahrungsprozess notwendige - poetische Gabe des Menschen. Brandlmayr 2011 |
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